30.05.2018 - Der letzte Tempel

Nach 40 Tagen, 18 Blasen und über 1.100 gelaufenen Kilometern erreichte ich heute gegen 16:15 Uhr „Ōkuboji“ - Tempel 88 des Shikoku Henro Pilgerwegs. Ein unglaubliches Gefühl, Freude und Trauer zugleich, der Weg ist fast zu Ende. Morgen laufe ich noch zurück zu Tempel 1 .. aber davon dann später.

Zunächst war es heute so, wie der Wetterbericht es vorausgesagt hatte - es regnete. Also checkten wir um 8 Uhr im Gusto-Restaurant ein, um zu frühstücken und um sich den Regen etwas abreagieren zu lassen. Um 10:30 Uhr brachen wir dann schließlich auf, um die letzten beiden Tempel in Augenschein zu nehmen. Bei strömenden Regen erreichten wir den heute ziemlich trostlos wirkenden T87. Die Wege und der Sandplatz zwischen den Tempeln standen schon ziemlich unter Wasser. Wir hielten uns in Ermangelung einer Überdachung nicht lange auf und marschierten bald weiter Richtung T88. Nach einer halben Stunde hörte der Regen dann Gott sei dank auch auf. 

Wir müssten noch über den knapp 800 Meter hohen Mt. Nyotai, auf dessen anderer Seite Tempel 88 liegt. Es waren insgesamt wieder 29 km heute und an Regentagen fällt es einem nicht leicht, soweit zu laufen, aber auch heute hat es sich wieder gelohnt - für diesen wunderschön gelegenen Tempel. Unterhalb eines von Nebelschwaden umgebenen Berggipfels, auf einer Art Plateau liegend, bietet dieser Tempel eine atemberaubende Aussicht auf die umgebenden Berge und Wälder. Vermutlich wegen des Wetters (und der späten Uhrzeit), war so gut wie nichts los und es herrschte eine fast feierliche Ruhe. Kelly und ich hatten es geschafft, der letzte Tempel war erreicht. Ein letztes Mal zündeten wir Kerzen und Räucherstäbchen an den Tempeln an, richteten wir Wünsche an Kukai und ließen unser Pilgerbuch stempeln. Morgen früh heißt es dann Abschied nehmen - Kelly geht einen anderen Weg an der Küste entlang zurück (sie bleibt ja auch noch mindestens 6 Wochen in Japan), während ich so schnell wie möglich zurück zu Tempel 1 nach Tokushima möchte. Allerdings soll es auch morgen wieder regnen ... 

Wir haben unsere Zelte unter dem Vordach eines geschlossenen Andenkenladens direkt am Eingang zum Tempel aufgeschlagen - ja, für ausgefallene Campspots sind wir bekannt!

 

31-05-2018 Der Kreis schließt sich

Nachdem der norwegische Wetterradar leichten Regen ab 9 Uhr und mehr Regen ab 11 Uhr vorausgesagt hatte, ging es für uns beide heute um 5:30 Uhr auf die Piste - soviel Kilometer wie möglich im Trockenen laufen!

Nach einer Stunde trennten sich dann Kellys und mein Weg - und so latschte ich allein weiter Richtung Tokushima. Ich erreichte die Stadt gegen 9:30 Uhr in der Nähe von Tempel 10 - trockenen Fußes - aber Tokushima ist groß ... so musste ich noch weitere 4 Stunden laufen, bis ich endlich am Tempel 1 angekommen war - da wo vor 41 Tagen alles begonnen hatte. Natürlich hatte es ab 11 Uhr zu regnen begonnen und ich war mehrfach in Versuchung gewesen, den Bus oder Zug zu besteigen - aber das kam dann doch nicht in Frage. Nach fast 43 Kilometern bekam ich meine Stempel und ein herzliches „Congratulation“ des Mönchs. 

Eine großartige Reise mit unzähligen Eindrücken und Begegnungen hat ihr Ende - der Kreis der 88 Tempel ist geschlossen. Es war hart und wunderbar, anstrengend und aufregend, fesselnd und bewegend, bezaubernd und demütig zugleich. Ich habe Japan lieben gelernt, die Menschen, die Kultur und die Natur - Danke Kobodaishi!

Ich habe ein Hotel in der Nähe des Bahnhofs bezogen, morgen früh um 5:45 Uhr geht es mit dem Bus nach Osaka und dann über Paris zurück nach München. Und zuhause muss ich das Ganze erst mal sacken lassen ...

SHIKOKU - es war mir eine Ehre.

Michael-(Henro)San 

 

Danke an alle die ich unterwegs kennenlernen durfte, besonders an Kelly van Haak, the badass dutch hiker chick, es hat sehr viel Spaß gemacht mit dir zu laufen und nicht zu laufen!

 

29-05-2018 Das Ende naht

Heute starteten wir gegen 6:30 Uhr, weil T83 nicht weit weg von unserem Campingplatz lag. Wir waren wieder mit die Ersten am Tempel und genossen e,s in Ruhe die Tempelrituale zu zelebrieren, oft haben wir ja nicht mehr die Gelegenheit. Danach ging es kreuz und quer durch die Stadt, 2 Stunden, bis es dann wieder mal steil bergauf ging zum Tempel 84. Mit einem herrlichen Panoramablick auf die Stadt liegt diese große Tempelanlage mit einem einen eigenen angegliederten Museum auf einem hohen bewaldeten Berg. Der Abstieg auf der anderen Bergseite war wieder sehr steil, Steinstufen und -tritte mit ziemlichen Abstand zueinander, das kann man gar nicht so verdeutlichen - das müsstet ihr mal selbst gehen. Und natürlich ging es nur hinunter an den Fluss, um auf der anderen Seite den nächsten Berg zu erklimmen, auf dem T85 thront.

Auf halben Weg hoch, am letzten Wohnhaus bietet eine wunderbare ältere Dame allen Pilger einen Rastplatz - mit dazugehöriger Verpflegung: Früchte, Schokolade, selbstgemachte Süßigkeiten und natürlich japanischem Tee. Das war der richtige Anschub für die letzten zwanzig Minuten des steilen Aufstiegs. T85 mit seiner Lage unterhalb des Berggipfels und den gepflegten Kieswegen, umringt von dichtem Wald, gehört auch zu meinen Favoriten. 

Der Abstieg mit zeitweise etwas Nieselregen erfolgte diesmal auf einer schmalen Nebenstraße - Gefälle 21%. Wieder unten angekommen ging es noch eine knappe Stunde weiter Richtung T86, dem letzen des Tages. Und nach einem Gusto-Stop mit Pizza und zahlreichen Getränken kamen wir um 16:00 Uhr dort an. Tempel 86 dürfte eine der grünsten Tempelanlagen des Shikoku-Henro sein, schmale Wege durch dichtes Grün führen zu einzelnen Gebäuden. Das finden auch die Moskitos toll.

Der Tempel bietet Henros seit diesem Jahr die Möglichkeit eines Tsuyado an, einer freien Unterkunft. Diese befindet sich allerdings nicht auf dem Tempelgelände sondern 5 Fußweg entfernt, in der Stadt. Wir bekamen im Tempeloffice den Schüssel und einen kurzen Einblick in die Hausordnung - danach bezogen wir unser Quartier. Eine Art Pilgerherberge auf zwei Etagen - unten einen großen Aufenthaltsraum, Dusche und WC - im OG zwei japanische Schlafräume, man schläft allerdings auf seiner eigenen Luftmatratze und im eigen Schlafsack. Spartanisch aber wunderbar, denn es soll die ganze Nacht regnen. Vielleicht haben wir Glück und der Regen ist morgen um 7 Uhr vorbei, wenn wir den Herbergsschlüssel wieder abgeben.

Kaum zu glauben - morgen stehen nur noch 26 km und zwei Tempel auf dem Programm. Am Donnerstag möchte ich dann die ca. 40 km von Tempel 88 zurück zu Tempel 1 laufen, um den Kreis dieser Pilgerroute zu schließen.

28-05-2018 Hochplateau

Um 6:30 Uhr gab es eine Riesenportion Frühstück mir Fisch, Suppe, Tofu, Reis und allerlei Gemüse - und das, obwohl ich normal nie frühstücke! So gestärkt machten wir uns an die Umsetzung unserer „von-hinten-durch-die-Brust-ins-Auge“ Taktik. Wir ließen T80 rechts liegen, umliefen den steilen Aufstieg zu T82 großräumig und näherten uns so T81 von oben. T81 und T82 liegen auf einem Hochplateau in wunderschöner Waldlage hoch über Takamatsu - und wir zogen den stetigen aber weniger steilen Anstieg dem Direkten Aufstieg über T80 vor.

Wie es sich beim arg steilen Abstieg zeigte, war es die richtige Entscheidung. Knapp 6 Stunden hatte der Weg von unserer Übernachtungsstätte hinauf zu T81 gedauert - um ca. 15:00 Uhr hatten wir dann T80 nachgeholt und hatten unser Soll fast erfüllt. Ich hatte total das Zeitgefühl verloren, der Tag war länger gewesen als gedacht - nur meine allmählich schmerzenden Füße machten mir klar, dass wir bereits über 8 Stunden und 32 KM absolviert hatten!

Ich machte einen kurzen Abstecher in den McDonalds am Weg - um mal keinen Fisch zu essen, und traf mich dann 1,5  Stunden später mit Kelly in einem FamilyMart. Wir gönnten uns ein Bier-Mischgetränk, kauften Abendessen ein und liefen dann noch etwas weiter um in einem Park zu campen. Heute soll es ja noch trocken sein, morgen und Do. und Fr. eventuell regnerisch. Statt im Park zelten wir zur Abwechslung mal direkt an einem Fußballplatz - knapp im Abseits sozusagen. Heute gab es auch wieder Ossetai - in Form von gefüllten Reisbällchen und Fruchtsaft - life is good.